Im Zentrum von Chantal Kaufmanns künstlerischer Praxis steht das Verhältnis von Sprache und Bild und die Frage nach der sprachlich-visuellen Bedeutungsproduktion zwischen Autor*in und Rezipient*in. Geleitet von einem Interesse an Ästhetiken des Vorsprachlichen und einer Kritik am Logozentrismus als westlichem „Imperialismus des Logos“ befasst sich Kaufmanns Praxis mit den Bedingungen und Mechanismen von Subjektkonstitution und den Möglichkeiten der Überschreitung rationaler Subjektivität. Dabei nimmt ihre Arbeit oftmals Bezug auf sprachliche Neuerungen der literarischen Avantgarde und feministische Theorien, die „aus der Sprache eine Arbeit machen” (Julia Kristeva), und sich dabei durch verschiedene Ebenen des Semiotischen durcharbeiten: Gestik, Rhythmus, Intonation, Lachen. Sprache ist dabei immer an eine materielle Realität gebunden.
Im Spiel mit der formalen Gegenüberstellung von visuellen Elementen und textbasierten Inhalten bewegt sich Kaufmanns Praxis zwischen verschiedenen Medien – darunter Video, serielle Druckverfahren, Musik und Malerei. Für die Ausstellung im Kunstraum MEMPHIS realisiert Kaufmann eine Reihe neuer Arbeiten, die mittels visueller Strategien der Aneignung, Wiederholung und Rhythmisierung, der Assemblage und des Cut-up eine Übertragung sprachimmanenter Logiken auf die Produktion von Bildern verfolgen und das Wechselspiel zwischen visuellem Rhythmus und sprachlicher Struktur betonen.
Die Arbeiten für „A is a guess and a piece” – der Titel der Ausstellung ist einem Gedicht von Gertrude Stein entnommen und verweist auf Steins bildhafte Entstellung sprachlichen Sinns – kreisen um den Begriff der Intertextualität. Dieser wird nicht nur als literarisches Verfahren verstanden, sondern als intermediale Verbindung zwischen Film, Musik/Radio und Bild/Malerei, die als integrale Bestandteile der gesellschaftlichen Repräsentationsordnung wirken. In der Absorption und dem In-Bezug-Setzen verschiedener Text- und Referenzmedien eröffnet Kaufmann einen Raum, in dem ihre materielle Arbeit mit der Sprache von den verschiedenen Intertexten und Lesarten der Rezipient:innen durchkreuzt wird, um sich einer eindeutigen Sinngebung zu entziehen.
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Mit freundlicher Unterstützung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.